Gedanken

Dystonie Gedanken, Gedichte, Geschichten

Dystonie, Sterben und Tod

Feiere das Leben, mit oder ohne Dystonie,

 denn es endet - so oder so - tödlich.

Für jeden. Für jede.

Der Begriff "Sterben" steht für das (sukzessive) Erlöschen der Organfunktionen.

Anatomische Körperspende
Körperspende zur Plastination

Der Tod ist nicht schlimm,

das Leben insgesamt unzufrieden gelebt

zu haben, denke ich, wohl schon!


Die Themen "Sterben" und "Tod" sind für die meisten Menschen ein Tabuthema. Die gesellschaftliche Verdrängung führt dazu, dass sich eher wenige Mensch zu Lebzeiten damit aktiv auseinandersetzen; aktiv heißt u.a. mit Familie und Freunden darüber zu sprechen, wie man sich das Sterben für sich selbst vorstellt, ob man Organe spenden möchte oder nicht oder und auf welche Weise man wo und wie bestattet werden möchte. Schade eigentlich, endet das Leben doch für alle gleich, nämlich tödlich, für die Eine eher, für den Anderen später.


Die erste Frage, die sich viele Dystoniebetroffene stellen ist, ob die Bewegungsstörung das Leben verkürzend ist. Dies hängt zunächst davon ab, ob es sich bei der Dystonie um eine eigenständige Erkrankung, die Folge einer Hirnfehlbildung oder einer Verletzung handelt, oder ob sie ein Symptom einer anderen Erkrankung darstellt. Für Erste gilt vom Grunde her eher nein. Bei Zweiterer hängt es von der Grunderkrankung ab. Davon unbenommen darf zum einen nicht verschweigen werden, dass die Suizidrate bei Dystoniebetroffenen durchaus höher ist, als beim Durchschnitt der Bevölkerung. Zum anderen scheuen zahlreiche Dystoniebetroffene  Vorsorgeuntersuchungen, was nicht unbedingt lebensdienlich ist, im Gegenteil!


Die finale Frage ist sodann, was mit dem eigenen Körper nach dem Tod passieren soll. Vom Grunde her gibt es drei Möglichkeiten:


  • Bestattung in konventioneller Form einer Erd- oder Feuerbestattung, mit anschließend anonymer Beisetzung oder persönlicher Beisetzung auf einem Friedhof, in einem Friedwald, auf See oder in der Luft.


  • Bestattung in unkonventioneller Form, z.B. als Diamantbestattung.


  • Bestattungen in nachhaltiger Form, einer sogenannte "Reerdigung" (Kompostierung).


Konventionelle Bestattungen kosten insgesamt etwa 7.000 Euro aufwärts; kostengünstigere Angebote oder gar "Billigangebote" sind im Regelfall "Lockfallen". Begleit- und Folgekosten werden hier regelmäßig nicht aufgeführt, fallen schlussendlich dennoch an. Oder: Auch im Trauerfall immer das Kleingedruckte lesen (...)


Überdies kann man zu Lebzeiten seinen Körper einem Anatomischen Institut für Zwecke der Aus- und Fortbildung sowie Forschung und Wissenschaft spenden. Je nach Institut fallen Kosten zwischen 800 und 1.300 für Behörden- und Überführungskosten an (Näheres klicke den graufarbenen Button links).


Schließlich kannst Du Deinen Körper an "Körperwelten" spenden, die diesen zu Ausstellungszwecken plastinieren werden.

Kosten für Überführungen, weitere Gebühren und eine Beerdigung entfallen.


Für was auch immer Du Dich entscheidest, bitte sprich mit jenen darüber, die für Deine Beerdigung verantwortlich sein werden. Oder: Kläre zu Lebzeiten, was Du wie möchtest, damit niemand in der Phase der Trauer zusätzlich erschrocken oder gar geschockt sein wird und schließlich alles so läuft, wie Du es Dir für Dich wünscht bzw. gewünscht hast.

Dialoge mit meiner "dystonen Dämonin"

Dystoner Morgengruß

Meine Dystonie: Morgäääääähn!

Ich: Schscht. Lass mich bitte noch ein wenig in Ruhe.


Meine Dystonie: Ruhe? Du bist ja lustig. "Ruhe" kann ich nur im Schlaf.

Ich: Mmmm. Ich weiß, Du Quälgeist. Du dystone Dämonin. Bitte ...


Meine Dystonie: Jeder Tag ist sooooooo „an“spannend. Ich liebe Anspannung!

Ich: Spannung ja. Anspannung eher nicht. Schon gar nicht muskulär. Also entspann Dich noch ein Weilchen.

Lass mich bitte noch ein wenig schlafen.


Meine Dystonie: Nein. Ich will nicht mehr schlafen. Nö. Ph. Ich möchte „An“Spannung. Jetzt! Sofort! 

Und nicht gleich. Schon gar nicht später. Jeeeeeetzt! Bitte, bitte.

Ich: Boahhh. Meinetwegen. Du wirst ja ohnehin nicht lockerlassen. Okay, ich stehe dann mal auf.

Wie Du willst, Du Quälgeist.


Meine Dystonie: Juhu. Gewonnen! Ich wusste, dass ich gewinnen würde. Dennoch danke. Danke Dir!

Ich: Ich verabscheue es, zu verlieren. Erst recht gegen so einen Quälgeist, wie Dich!


Meine Dystonie: Hee, nun werde mal nicht komisch. Einfach mal locker bleiben!

Ich: Wie denn, Du „dystone Dämonin“? Himmel Herrgott, wie denn?


Meine Dystonie: Das verrate ich Dir nicht. Nein, um’s Verrecken nicht. Dir nicht und auch niemandem anders.

Das würde dann ja total langweilig für mich. Und Langeweile? Nein, danke!

Ich: Mmmm. Wenigstens das eint uns. Na gut. (Ich setze mich auf die Bettkante) Okay, Du Nervensäge, Du lässt ja ohnehin nicht locker. Dann kann ich ja auch loslegen.


Meine Dystonie: Großartig! Spannung pur! Ich auch. Hab 'nen schönen Tag.

Ich: Ja, Du auch, Du Quälgeist. Und treibe es bitte nicht so arg …

Dystonie: Sie stört.

Mal mehr, mal weniger.

Auf eigene Gedanken hören,

kann auch stören.

Dystonie. Eine unsägliche neurologische Bewegungsstörung. Bewegen, ohne sich bewegen zu wollen. Zittern, Zucken, Krampfen. Fehlhaltungen. Und: Schmerzen. Heilung. Nein. Linderung. Mitunter. Unterstützungsbedarf. Vielfältig. Mal mehr, mal weniger.


Dystonie. Eine zeitraubende neurologische Bewegungsstörung. Immer wieder Termine bei Ärzt:innen, Therapeut:innen und anderen „Gesundheitspersonalen“. Erfolg, eine Frage des Blickwinkels. Doch allenthalben ist Zeit auch Geld. Mal mehr, mal weniger.


Dystonie. Eine diebische neurologische Bewegungsstörung, die einem häufig nicht nur den Schlaf, sondern auch den letzten Nerv raubt; übrigens auch Angehörigen und guten Freundinnen und Freunden. Mal mehr, mal weniger.


Dystonie. Eine stigmatisierende neurologische Bewegungsstörung. Menschen, die diese Erkrankung nicht kennen, schauen, starren und glotzen; zum Kotzen! Dann schließt man vom Körper reflexhaft auf den Geist; nicht nur gewagt, auch dreist! Mal mehr, mal weniger.


Dystonie. Eine duldsamkeitserzwingede neurologische Bewegungsstörung. Jeden Tag auf’s Neue. Eine Toleranzübung auf Lebzeit in Echtzeit. Toleranz gegenüber dem Körper und dem eigenen Geist. Toleranz gegenüber den Folgen. Mal mehr, mal weniger.

Dystonie ist Leistungssport

Jeden Tag auf's Neue. Jeden Tag


Unter Leistungssport wird herkömmlich das intensive Ausüben eines Sportes verstanden, mit dem Ziel, in Wettkämpfen Bestleistung zu erbringen.


Ich habe eine Generalisierte Dystonie. Damit bin ich, wie viele andere Dystoniebetroffene, unweigerlich ein:e Leistungssportler:in.


Meine Körper und ich üben jeden Tag intensivst - vom Aufwachen bis zum Einschlafen, nahezu ohne Unterbrechung - absonderliche Bewegungen und abnorme Haltungen; und das immer und immer wieder, bis zur Perfektion!


Mein Ziel? Der Alltag. Mein tagtäglicher Wettkampf?  Ihn zu meistern. Und: Nur wer sein Ziel kennt, findet einen Weg, einen Weg mit Scham, Schmerzen und Erschöpfung dennoch ein erfülltes Leben zu Leben. Jeden Tag auf's Neue. Jeden Tag.

Dystonie

Bewegung wider Willen


Meine Dystonie. Sie gehört zu mir. Wider Willen. Zugegebenermaßen - Bewegt sein. Bewegt werden.


Meine Dystonie. Sie ist da. Jeden Tag. Morgens, mittags, abends. Zugegebenermaßen - Bewegt sein. Bewegt werden.


Meine Dystonie. Sie strengt an. Mal mehr, mal weniger.Zugegebenermaßen - Bewegt sein. Bewegt werden.


Meine Dystonie. Sie fällt auf. Jedem. Jeder. Überall.

Zugegebenermaßen - Bewegt sein. Bewegt werden.

Meine Dystonie. Sie bewegt. Mich. Meine Familie. Freundinnen & Freunde; zumindest jene, die geblieben sind.


Meine Dystonie. Bewegt sein. Bewegt werden. Bewegung wider Willen (...)

Dystonie im Alltag: Putzen von fragwürdigem Nutzen ...


Putzen ist lästig. Dennoch. Es muss sein. Doch Dystoniebetroffene putzen mehr, bemühen sie sich auch noch so sehr.  Bei mir beginnt es bereits morgens, zumeist im Bad. Dass ist machmal ganz schön hart. Kaum bin ich - sind wir, also meine Dystonie und ich -  halbwegs munter, irgendetwas fällt mir immer 'runter, seien es meine Zahn- oder Haarbürste, die Zahnpasta oder mein Zahnputzbecher gefüllt mit Wasser. Nur beim Duschen bin ich nasser ...


"Verdammt!", hört man mich zischen, da ich im Rolli sitze ist es echt schwierig etwas vom Boden aufzuwischen. Hinzu kommt, dass ich, in dem Moment, in dem ich mich mit meinem Rolli bewege, echte "Bodenmalereien" produziere - "Gratuliere!". Reifenspuren zieren nun mein Bad. Eine Mischung aus Zahnputzwasser und Reifenstaub, echte und ökologische Haushaltskunst, mit Verlaub!


Wäsche waschen tue ich besonders hassen! Dies liegt nicht etwa daran, dass ich nicht auch saubere und damit gut riechende Wäsche leiden mag. So'n Quark! Im Gegenteil. Doch meine motorischen Mangelfertigkeiten und die zwergenhafte Größe des Faches für Waschmittel passen eher wenig zusammen. So manches Mal beginne ich meine Dystonie, die Waschmaschinenhersteller, oder beides, laut fluchend zu verdammen. Wenn sich jetzt auch noch die Überreste meines Zahnputzwassers mit dem verstreuten Waschpulver auf meinem Boden mischen, dann, ja dann hilft nur noch wischen.


Schweißgebadet stünde schlussendlich Duschen an, was ich als Dystoniebetroffene leider nicht mehr selber kann. Lange Rede, gar kein Sinn: Ich wollte gar nicht putzen, doch manchmal ist Dystonie - wenngleich wider Willen - durchaus auch mal von Nutzen!

Dystonie im Alltag: Einkaufen ist zum Haare-Raufen ...


Dystonie ist, weil eine Bewegungsstörung, körperlich genauso bewegend wie beeinträchtigend. Bei dem Einen mehr, bei der Anderen weniger.


Besonders zum Haare-Raufen ist Dystonie samt Beeinträchtigung und Rollstuhlpflichtigkeit, vor allem im Alltag, bei Diesem-und-Jenem-Kaufen.


Beim Einkaufen unterscheide ich zunächst zwischen

  • "MUSS ich machen, nützt nix!" und
  • "KANN ich machen, muss ich aber nicht!".


Bei Ersterem handelt es sich um den Einkauf von Dingen des täglichen Bedarfs, also im Wesentlichen den "Besuch" von Supermärkten. Bei Zweiteren um den Erwerb von Bekleidung und Schuhen, also den "Besuch" von Bekleidungs- und Schuhgeschäften. Hier soll es sich zunächst um "MUSS ich machen, nützt nix!" drehen.


Da auch ich, wie jede/r andere, tagtäglich von Hunger geplagt werde, bleibt mir kaum etwas Anderes übrig, als zweimal in der Woche einem Supermarkt - also dem "alternativen Acker des abendländischen Heute(s)" - meine beräderte Aufwartung zu machen.


Auf der "Scholle des Konsums" angekommen, besteht meine erste Herausforderung darin, ein Behältnis zu ergattern, dass sich trotz Rolli und Dystonie, oder Dystonie und Rolli, zum Einsammeln der "Objekte meiner Begierde" eignet.


"Rolligerechte Einkaufswagen!", denkst Du jetzt, "Kein Problem!". Weit gefehlt. Zum einen passen sie nicht zu jedem Rolli. Zum anderen sind sie regelmäßig defekt. Nicht zuletzt mangelt es mir, Dystonie bedingt, an motorischer Schiebebegabung. Schließlich vermögen Supermarktangestellte die "besonderen Gefährte" oftmals so gut zu verstecken, dass mich bei so manchem Einkauf das Gefühl beschleicht, bei Ostern handele es sich um ein "Ganzjahresfest".


So entscheide ich mich also regelmäßig gegen einen Einkaufswagen und für das Einkaufskörbchen. Doch kaum habe ich diese Entscheidung getroffen drängt sich mir die nächste Herausforderung auf. Der "Körbchenstapel" ist - nahezu wie die Gletscher in den Alpen - zumeist abgeschmolzen. Kurzum: Die Entfernung zwischen mir, meinem Arm bzw. meiner Hand sowie den verbleibenden Draht- oder Kunststoffbehältnissen ist zu groß, als dass ich diese würden greifen können; zumindest ohne meinen Rolli unvermittelt und wider Willen spektakulär verlassen zu müssen.


Bevor ich allerdings jemanden um Hilfe bitte, versuche ich es irgendwie zunächst stets selbst. Allein, aber doch nicht allein. Denn jetzt kommt meine Dystonie ins Spiel! Aus der festen Absicht eines gezielten Griffs nach unten, basteln mein Gehirn und mein Arm eine unabsichtliche bzw. unwillkürliche Bewegung, die zu allem geeignet ist, jedoch nicht das Körbchen gezielt zu greifen, geschweige denn, es auf unmittelbarem Weg auf meinen Schoß zu hieven.


Anstelle von Resignation, lautet mein Motto nun Konzentration! "Falscher Ehrgeiz!", denkst Du vielleicht. "Warum nimmt sie nicht jemanden zum Einkaufen mit, oder bittet gleich um Hilfe?". Ja, wenn das mal alles so einfach wäre ...


Ersteres mache ich natürlich, wenn ich wirklich zu Hause, also in Kiel, bin. Da ich jedoch in Potsdam arbeite und dort somit auch wohne, aber eben ohne Familie, scheidet diese Möglichkeit im Alltag aus.


Um Hilfe bitten, liegt nahe. Das stimmt. Doch ich versuche es stets immer erst alleine. Sturheit? Ehr nicht. Wohl aber mein unstillbarer Drang nach Selbstbestimmtheit, gepaart mit Selbstverständlichkeit.


Wie auch immer. Mit einem Einkaufskorb auf dem Schoss, geht es dann endlich los. Zunächst steht das "Einsammeln" von Obst und Gemüse an; mitunter im wahrsten Wortsinn. Da ich es aus ökologischen Gründen verabscheue, frische Lebensmittel in Kunststoff verpackt zu kaufen, beginne ich bereits hier - vor lauter Anstrengung - mir die ersten Haare zu raufen.


So gilt es zunächst Obst und Gemüse - aus unterschiedlichen Höhen und Tiefen - zu greifen, in das Körbchen zu bugsieren und unfallfrei zur Waage zu schleifen. Beim Wiegen kann man sich, zumindest als stärker von Dystonie Betroffene, dann erst recht verbiegen; nicht selten lernen spätestens dort mein Errungenschaften mitunter das Fliegen ...


Die nächste Bürde ist die Kühlabteilung als vielfältigste und stark unterkühlte Hürde. Mit Rolli und Dystonie erreichst Du nichts in Kühltruhen, niemals nie! Schwierig sind auch "große Kühlschranktüren", energetisch eine gute Sache, keine Frage, doch nicht für mich, in meiner dystonen und beräderten Lage ...


An der Kasse nimmt "mein Schicksal" allwöchentlich sodann auf's Neue seinen Lauf. Ich bekomme meine Einkäufe weder schnell, noch unfallfrei oben auf das Warentransportband d'rauf. Die Kassierenden sind stets 'ne Wucht. Sie sind höchstüberwiegend freundlich, ruhig sowie hilfsbereit. "WIR" begegnen meiner Ungeschicklichkeit, nicht nur gelassen, sondern vielfach auch mit Heiterkeit.


Wütend und bange machen mich jedoch ungeduldige Menschen in der Kassenschlange. Nicht selten starren sie und tuscheln. Kommen blöde Kommentare, krieg' ich mich mit ihnen häufig in die Haare ...


Besonders kränken mich Bemerkungen, die zum Inhalt haben, dass ich nicht alleine Einkaufen "gehen" sollte, oder wenn ich dies schon wolle, das zu einer Zeit tun solle, in der Berufstätige dies nicht tun müssten. - Wenn die wüssten!


Kurzum: Ganz mein Humor. Oder, es bleibt dabei, in Sachen Inklusion gibt es, besonders auch im Alltag, noch ganz viel zu tun!

Dystonie - Leben wie ferngesteuert


Ich bin 53 Jahre alt, verheiratet und habe zwei erwachsene Kinder. Beruflich ist meine Berufung als Bundespolizistin „Sicherheit“, dies, obgleich mich seit vielen Jahren eine Generalisierte Dystonie begleitet und ich seit mittlerweile sechs Jahren rollstuhlpflichtig bin. Dystonie bewegt mich, im wahrsten Wortsinn. Eine Tiefe Hirnstimulation hilft mir, meine Bewegungen halbwegs unter Kontrolle zu haben. Am meisten gefällt mir jedoch an der Technik in meinem Kopf, dass ich keine dystonen Krisen mehr habe und auf zentral wirkende Mittel zur Muskelentspannung verzichten kann. Physiotherapie zählt, davon unbenommen, weiterhin zu meinen therapeutischen Wegbegleitern.


Wie auch immer: Mein Physiotherapeut hat mir schon häufiger gesagt, dass er gerne einmal für einen Tag in bzw. mit meinem Körper leben würde, um besser verstehen zu können, wie es ist, von einer Dystonie – in welcher Form auch immer – betroffen zu sein. Einerseits interessiert es ihn aus rein „körperlicher Neugier“. Andererseits geht er davon aus, mit dieser Erfahrung seine Therapieansätze verbessern zu können.


Da der „Körpertausch“ jedoch nicht möglich ist, habe ich versucht, ihm halbwegs anschaulich zu beschreiben, wie es sich anfühlt, mit oder in einem Körper zu leben, dessen Funktionalität von einer Generalisierten Dystonie betroffen ist. Also: Das Leben mit einer (hirn)organisch verursachen Generalisierten Dystonie fühlt sich (zumindest für mich) so an, als wäre man körperlich fortwährend ferngesteuert, ähnlich wie ein Roboter oder eine Marionette. Dies zwingt einen stets dagegen an zu arbeiten, um irgendwie – je nach Tagesform mal mehr mal weniger erfolgreich – das tun und lassen zu können, was man gerne tun und lassen würde. 


Hinzu kommt, dass man stets bemüht ist, seine Bewegungsauffälligkeiten halbwegs zu verbergen, um nicht fortwährend angeschaut oder schlimmstenfalls gar angestarrt zu werden. Scham? Mitunter. Vielmehr stört mich, dass viele Menschen denken, dass jene, die körperlich beeinträchtigt sind, auch geistig nicht auf der Höhe wären. Diesen Trugschluss ein um das andere Mal (verständnisvoll und höflich) auszuräumen, strengt mich, mitunter mehr als meine Dystonie selbst. Als belastend empfinde ich überdies, tagtäglich auf Unterstützung angewiesen zu sein. Das ist wirklich mies!


Nicht zuletzt bedeutet eine Generalisierte Dystonie als Rollstuhlpflichtige ein Leben ohne mal eben. Barrieren aller Art zu überwinden ist mitunter wirklich hart, sozialer Rückzug jedoch - auch Dank Familie, Freund:innen und Kolleg:innen - einfach nicht meine Art.

Sandra Saftig (2020)

Oromandibuläre Dystonie

Eine Erzählung von Sandra Saftig


Oder: "Wenn Sprechen,

Kauen und Schlucken

zur Qual werden!"


Eine tolle Frau, die trotz mittlerweile einer Gehörlosigkeit und Oromandibulären Dystonie mit beiden Beinen im Leben steht und ihren Weg geht ...



Angefangen, so Sandra, hat alles auf einer Klassenfahrt, doch lest selbst!


"Langsam angefangen hatte alles vor ca. 24 Jahren. Damals ging ich noch auf die hörende Schule. Auf meiner letzten Klassenfahrt mit meiner hörenden Klasse (Juni 1996) merkte ich, dass etwas mit dem Kiefer nicht stimmte. Ich habe es gemerkt während der Zugfahrt nach England. Ich habe mit meinen Freunden geplaudert. Dabei fiel mir das Sprechen etwas schwerer. Meine Freunde wiesen mich darauf hin, dass sie mich nicht mehr so deutlich verstehen. 

 

Nach der Klassenfahrt berichtete ich alles meinen Eltern und wir gingen gemeinsam zum Kieferorthopäden. Ich sagte ihm, dass ich etwas Schmerzen im Kieferbereich hätte und er soll etwas unternehmen. Dieses hat er nicht gemacht. Er behandelte mich weiter, wie bisher. Dabei wurde meine Sprache immer unverständlicher und so war ich teilweise gezwungen, auf die Hörbehindertenschule zu wechseln. Einerseits wollte ich es auch, anderseits wollte ich meinen Realschulabschluss auf der hörenden Schule machen. So wechselte ich im August 1996 auf die Hörbehinderte Schule am Sommerhoffpark. 

Damals wurde meine Sprache wieder etwas besser. Die Sprache war damals schon nicht mehr so wie früher. Nebenbei fingen die Probleme mit dem essen an. Da ich aber nicht auf das Essen verzichten wollte, ging ich zu einem Naturheilpraktiker. Dieser spitze mir etwas zwischen dem Ober- und  Unterkiefer. Das half mir sehr und ich konnte maximal zwei Tage ganz normal essen und sprechen. 

 

In den Osterferien im Jahr 1997 verschlimmerte sich meine Sprache und von da an bin ich fast jeden Tag von einem Arzt zum nächsten gerannt, musste mich mit Strom an der Zunge und am Augenlid geprüft werden. Da diese Untersuchungen keine konkreten Ergebnisse ergaben, musste ich ins Nordwestkrankenhaus in die Neurologie. Dort wurde mir aus dem Rückenmark Nervenwasser entnommen. Danach ging es mir die eine Woche im Krankenhaus sehr schlecht, habe nichts gegessen und war mich nur am Übergeben. Dabei nahm ich zirka 10 Kilo ab. Aber auch diese Untersuchung schlug fehl. 

 

Ich bin dann im Sommer 1997 nach Essen gezogen in ein Internat. Dort gibt es eine spezielle Schule für Hörbehinderte, wo man unter anderem das ABI machen kann. In den ersten Wochen lief alles gut bis zu den Herbstferien, wo sich meine Sprache automatisch sehr stark verschlechterte und ich dadurch kaum noch etwas essen und trinken konnte und dabei meine Zunge streif wurde. Danach konnte ich über ein halbes Jahr nicht richtig essen und trinken. So war ich gezwungen, nur weiches Nahrungsmittel zu mir nehmen. In den Herbstferien hatte ich an manchen Tagen zwei Arzttermine auf einmal, was nervte. Als die Ferien vorbei waren, wurde ich eine Woche länger „beurlaubt“ damit ich diese Termine fortsetzen konnte. 

 

Dabei hörte ich von einem Arzt aus Amerika, der seit Jahren in Deutschland erfolgreich Leute mit Problemen im Kieferbereich behandelt. Aber es fehlte noch der Befund. So gingen Meine Mutter und ich zu Dr. Tischendorf. Dieser machte dann 3 Röntgenaufnahmen vom Kiefer und 2 Kernsprintaufnahmen. Dort wurde der Befund gefunden. Ich war zwar sehr glücklich darüber, aber es war noch ein langer Weg bis die Behandlung endlich begann. 


Zuerst bekam ich von meinem neuen Kieferorthopäden Dr. Toll ein Art Aufbau an meinen hinteren Backzähnen. Diese halfen mir, dass der Kiefer sich auseinander schob. Weil man gesehen hat, dass das Gelenk zwischen Ober- und Unterkiefer total verrutscht ist. Danach ging es mir eine Zeitlang besser und ich schöpfte neuen Lebensmut, aber mit der Zeit ging es wieder bergab und ich verlor den Lebensmut! Meine Familie musste mich mühsam wieder aufbauen. 

 

Dazwischen kam im Februar 1998 ein schlimmer Unfall, bei dem ich mir den Außenknöchel, den Innenknöchel und das Sprunggelenk gebrochen habe. Da musste ich wieder ins Krankenhaus. Da hatte ich auf einmal zwei Probleme gleichzeitig. Das ging mir so auf die Nerven und wurde dadurch in der Schule in Essen schlechter, hatte zwei Versetzungen mit Ach und Krach geschafft. 

 

Nach diesem Unfall, ca. ein halbes Jahr später bekam ich eine neue Zahnspange, was am Anfang zu einigen Problemen führte. Dann ging es langsam wieder bergauf. 

 

Ca. ein Jahr später wurden mir zwei Vorschubstäbchen an der Zahnspange befestigt, damit begannen die Schmerzen wieder von vorn! Diese sollte mir eigentlich helfen, die Schmerzen zu reduzieren. Da meine Wangen sehr dick und öfters mal ziemlich verkrampft sind, rieben diese sich an den Vorschubstäbchen, dass dazu führte, dass meine Wangen sehr stark angerieben waren und die Schmerzen wurden schlimmer, so dass ich weder sprechen noch richtig essen konnte und konnte dabei auch meinen Mund nicht öffnen, weil es beim Sprechen so weh getan hat und ich nur noch mit verschlossenem Mund sprach. 

 

Das führte leider dazu, dass mich meine Freunde in Essen überhaupt nicht mehr verstanden haben, da war ich psychisch wieder am Ende und so versaute ich auch die letzten Klassenarbeiten. Da ich diese Schmerzen nicht mehr aushielt wurde im neuem Jahr (1999) die Vorschubstäbchen entfernt, was ich mit Erleichterung empfang. So wurde ich nicht nur die Schmerzen los, sondern auch, dass ich endlich ein wenig besser sprechen und essen konnte. Von nun an ging es leicht bergauf. 

 

Durch diese ganze Probleme und Stress habe ich zweimal einen Hörsturz gehabt. Der erst war im Sommer 1998 und der zweite im Dezember 1999. Dadurch blieben auch Geräusche im Ohr zurück, den sogenannten Tinnitus. Dieser ist jetzt mittlerweile chronisch geworden und habe den Ton den ganzen Tag im Ohr, seit Ende 2011 auch nachts.

 

Mittlerweile geht es nur noch bergab, die Krankheit wird langsam schlimmer, aber ich denke positiv, es gibt schlimmeres…"


Fortsetzung folgt!


Geschrieben von Sandra Saftig am 17.02.2000, letztmalig geändert am 15.09.2020;

veröffentlicht im übermittelten Wortlaut.


Gedichte

Eskalationsspirale Dystonie

Ich verabscheue sie ...


Unwillkürliche Bewegungen und leichten Schmerzen. Noch kann ich sie ignorieren, kann noch scherzen. Also rasch die Augen einfach zu. Schade, dennoch keine Ruh’. Mal eben so einschlafen, ehr selten. Meine Gedanken hängen in den Zwischenwelten.


Am nächsten Morgen. Augenringe und Müdigkeit. Weit entfernt von Heiterkeit. Die dystonen Symptome und Schmerzen sind nun präsenter denn je. Alles tut mir weh. Erschöpfung macht sich breit, den ganzen lieben langen Tag; nicht nur von Zeit zu Zeit.


Es ist Abend. Endlich. Schlafen. Doch der Körper kommt einfach nicht runter. Meine Dystonie ist munter. Bewegung ohne Ende. Von Kopf bis Fuß bis in meine Hände.


Einschlafen, eine große Hürde. Durchschlafen? Nicht dran zu denken. Mit Schäfchen zählen, sich und die Dystonie ablenken.


Am nächsten Morgen. Müde. Erschöpft. Verkrampft. Starke Schmerzen. Mir ist nicht zum Scherzen. Meine Dystonie führt wieder einmal ihr Eigenleben, als Resultat von wenig Schlaf und starken Schmerzen eben.


Eileen Lensch

14. Februar 2021

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