Botolinumtoxininjektionstherapie

Dystonie und Botolinumtoxin

"Botox" gegen Dystonie


Botolinumtoxin (kurz "Botox") ist seit vielen Jahren bekannt. Heute insbesondere in der plastischen sowie ästhetischen Medizin, also jener Fachärztlichkeit, die sich dem Wiederherstellen des Erscheinungsbildes einer Person oder dessen Optimierung widmet. So dürfte auch Dir das Spritzen von "Botox" gegen alterungsbedingte Hautfalten  bekannt sein.


Deutlich länger, nämlich seit rund 30 Jahren, spritzen
Neurologinnen und Neurologen "Botox" u.a. in dystone oder spastische Muskeln, um dauerhafte Fehlspannungen zu lösen. Auf diese Weise werden Schmerzen gelindert, Fehlhaltungen sind korrigierbar und Bewegungen, die vorher nicht oder nur unzureichend möglich waren, vielfach wieder möglich.

Botolinumtoxin: Bevor es besser wird, wird's häufig schlimmer ...


Oder: Schlimmer geht (vorerst) immer! Zahlreiche Dystoniebetroffene berichten davon, dass sich ihre dystonen Symptome nach einer Injektionstherapie mir Botolinumtoxin zunächst einmal verschlimmern; vor allem dann, wenn es ihre erste Injektionstherapie ist. Zweifel und Ängste machen sich breit.


Doch Gemach. Die (einstweilige) Verschlimmerung der Symptome ist durchaus erklärbar:


  • Zum einen liegt sie darin begründet, dass ein überangespannter Muskel es einfach nicht mag, wenn in ihn hineingespritzt wird. Als "erste Reaktion" verhärtet er sich um die Einstichstelle herum noch mehr, als er ohnehin schon hart ist, was dystone Symptome zeitweilig zu triggern vermag.


  • Zum anderen bewirkt das nach und nach wirkende Botolinumtoxin bekanntermaßen eine Entspannung des überangespannten Muskels. Sein Gegenspieler, der lange Zeit nichts zu tun hatte und somit untrainiert war, muss sich nun wieder daran gewöhnen, seine Arbeit zu tun.


In der Folge der zwei zuvor dargelegten Phänomene kann ein dystones Zittern einsetzen, oder sich ein vorhandenes Zittern intensivieren. Überdies können sich dystone Zugrichtungen verändern. Schließlich ist nicht auszuschließen, dass sich Schmerzen einstweilen verstärken oder neue Schmerzen hinzutreten. Um so wichtiger ist es, dass jede - aber vor allem die ersten Injektionstherapien mit Botolinumtoxin - aktiv und intensiv physiotherapeutisch begleitet werden.

"Botoxtherapie" - Entwickelt von einem Augenarzt und einem Lebensmittelchemiker


Arzneien werden seit vielen Jahrzehnten von der Pharmaindustrie entwickelt. Ihre Entwicklungen sind marktorientiert. So forschen, erproben und produzieren Pharmafirmen vorrangig mit Bezug zu Erkrankungen, die verhältnismäßig häufig vorkommen. Dies vor allem, weil es ihnen einen sicheren Absatzmarkt bietet.


Bei der "Botoxtherapie" war es anders! Der amerikanische Augenarzt Dr. Alan Scott (Bild links) wollte das Leid schielender Menschen operationsfrei lindern. Dabei kam ihm die Idee, dass eine winzige Dosis Nervengift den Muskel im Auge lähmen könnte, der den Augapfel den Blick und das Aussehen beeinträchtigend nach innen zieht.


Sein Freund, ein Biochemiker, Dr. Johnson (Bild rechts), der seinerzeit Botolinumtoxin für mögliche militärische Zwecke entwickelte, schickte Dr. Scott eine Probe. Und: Es funktionierte! Warum? Dass wusste er seinerzeit nicht.

1989 wurde sodann „Oculinum“, wie Dr. Scott sein Medikament nennen sollte, von den US-Behörden als Injektionsarznei gegen Schielen zugelassen und begann von dort aus seinen zunächst "medizinischen" und später erst "kosmetischen" Siegeszug um die Welt. Seit 2006 kommt es auch in Deutschland zum Einsatz.


Dr. Alan Scott: Ein "echter Held", wie ich finde, zumindest für viele Millionen Menschen, die von muskulären Fehlfunktionen betroffen sind und - aufgrund seiner Entwicklung - eine erhebliche Linderung ihres Leids erfahren können. Und das Ende der Geschicht', verkaufe arglos kein Patent mal nicht! So hätte Herr Scott Multimillionär, wenn nicht gar Milliardär sein können, ist er aber nicht (...).

Botolinumtoxin

Wenn Bakterien Gift produzieren


Bei Botolinumtoxin handelt es sich um einen Sammelbegriff für mehrere bzw. ähnliche neurotoxische Proteine, also Eiweiße, die Nerven zeitweilig oder dauerhaft außer Gefecht letzten können. Dieses Gift wird unter anderem von der Bakterienspezies Clostridium Botolinum gebildet und ausgeschieden, weshalb es sich um ein Exotoxin handelt. So viel zur Biochemie (...)


Entdeckt wurde es in der Folge der Einführung der Dosenkonservierung von Lebensmitteln. So versagte die (Atem)Muskulatur von Menschen, die Wurst und Fleisch genossen hatten, die mit zu geringen Mengen Salz konserviert und zu warm aufbewahrt worden waren (siehe "Mit Wurstgift gegen Falten", Button links anklicken).

Botolinumtoxin

Vom Gift zur Arznei


In der Pharmakologie wird zwischen "Arzneien" und "Giften" unterschieden. Ein Arznei (auch Medikament genannt) ist ein Stoff oder eine Stoffzusammensetzung, die Lebewesen zur Heilung, Linderung oder Vergütung einer körperlichen oder geistigen gesundheitlichen Beeinträchtigung verabreicht wird.


Bei einem Gift handelt es sich um einen Stoff oder eine Stoffzusammensetzung, der - wenn er von einem Lebewesen aufgenommen und verstoffwechselt wird - diesem einen vorübergehenden, dauerhaften oder gar tödlichen Schaden zufügen kann.


Beim Botolinumtoxin handelt es sich um ein Bakterium bzw. Bakterien die, wie ihre Endsilbe "Toxin" bereits verraten, giftig sind. Ein Gramm dieses Giftes, in seiner Reinform, reicht aus, um alle Menschen zu töten, die in einer Großstadt leben. Etwa ein Esslöffel dies Giftes vermag die Menschen Europas zu töten. Unglaublich, aber wahr.


In seltenen Fällen können Gifte, so sie sachgerecht aufbereitet und zweckmäßig dosiert werden, eine therapeutische Wirkung entfalten. Botolinumtoxin, kurz "Botox", zählt dazu.

Therapie verstehen,

klarer sehen ...


Work in progress!



Funktion der intramuskulären Botolinumtoxin-Injektionstherapie


Zahlreiche Dystoniebetroffene erhalten Botolinumtoxin („Botox)“ in jene Muskeln gespritzt, die besonders stark oder dauerhaft zittern, zucken und/oder krampfen und zu Fehlbewegungen, Fehlhaltungen oder schlimmstenfalls Fehlstellungen führen.


Das "Botox" verhindert für eine Weile biochemisch, dass die fehlerhaft aus dem Gehirn kommende elektrische Signale, die über das Rückenmark und die peripheren Nerven im Normalfall die Muskulatur erreichen, nicht mehr zu bestimmten dystoniebetroffenen Muskeln weitergeleitet werden können. Schaue Dir das Video links an. Es erklärt sehr anschaulich, wie Botox-Injektionen wirken.

Wann kommt bei Dystonie "Botox" zum Einsatz?


Bei Dystonie kommt die Botolinumtoxin-Injektionstherapie vorrangig bei fokalen und segmentalem Dystonien dann zum Einsatz, wenn die Einnahme von Medikamenten sowie eine begleitende Physiotherapie nicht hinreichend die Symptome zu lindern vermögen.


Bei anderen Dystonie werden mitunter Botoxinjektionen punktuell eingesetzt, um gezielt an bestimmten Stellen für eine Schmerzlinderung oder mehr Bewegungsfreiheit zu sorgen.


Die Botolinumtoxin-Injektionstherapie ist, nach der Einnahme zentral wirkender muskelentspannender Medikamente, die Therapie der "zweiten Wahl", die sodann von der Tiefen Hirnstimulation (siehe auch Therapiemöglichkeiten > Neuromodulation > Tiefe Hirnstimulation ) gefolgt wird.


Die Botolinumtoxin-Injektionstherapie wird von Neurolog*innen in Ambulanzen für Bewegungsstörungen ambulant in Krankenhäusern, in Praxen oder speziellen Therapiezentren durchgeführt.

Dystonie und kleine Nager

Mäuseeinheit: Eine tödliche Truppe?!


Dystoniebetroffene stolpern über manch‘ besondere Begriffe. Einer von ihnen ist „Mäuseeinheit“ (engl. Mouse Unit). Hierbei handelt es sich nicht, wie man annehmen könnte – um eine Spezialtruppe der kleinen Nager. Vielmehr beschreibt die Mäuseeinheit jene Menge eines Giftes "Botox", die ausreicht, um eine 20 Gramm schwere weibliche Maus in 15 Minuten zu töten. Kurzum: Je kleiner die Mäuseeinheit (engl. Mouse Unit; MU), umso tödlicher ein Gift.


Doch was hat das wiederum mit Dystonie zu tun? Werden neuerdings Nagetiere als therapeutisches Mittel eingesetzt? Nein, natürlich nicht! Doch viele Dystoniebetroffene erhalten Botolinumtoxin. Im Rahmen von Injektionstherapien wird es ihnen in die Muskulatur gespritzt. Das sogenannte „Wurstgift“ ist hochtoxisch. Schon geringste Mengen reichen aus, Lebewesen zu töten, weshalb „Botox“ in Mäuseeinheiten berechnet und gespritzt wird.


Traurig ist, dass jede Produktion (Charge) an "Botox", immer wieder auf ihre Wirkung hin an Mäusen im Rahmen von Tierversuchen aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen ganz oder teilweise getestet wird.Umso fragwürdiger ist aus meiner Sicht die Verwendung von "Botox" aus schönheitskosmetischen Gründen. Ein Erfolg ist indes, dass einige "Botox-Hersteller" (siehe Zusatzinformationen) mittlerweile zellbasierte Test entwickelt und zugelassen bekommen haben. Maßgeblich waren Initiativen des Vereins "Ärztinnen und Ärzten gegen Tierversuche" (Für nähere Informationen klicke auf den Button links.).


Zusatzinformationen

Allergan hat 2011 eine behördliche Zulassung für eine Zellkulturmethode zur Testung seiner Botox-Produkte erhalten. Merz erhielt im November 2015 eben diese. Beide Firmen ersetzen damit allerdings nur einen Teil ihrer Tierversuche, streben - eigenen Angaben zufolge - aber einen Verzicht auf Tierversuche an. Der französische Hersteller Ipsen hat im August 2018 eine Zulassung für zellbasiertes Tests in der Europäischen Union und der Schweiz erhalten. 

Botolinumtoxin-Injektionstherapie

Die Spritzen müssen sitzen ...


Der Erfolg einer Botoxtherapie hängt von vielen Faktoren ab: der Intensität der Dystonie bzw. der dystonen Symptome selbst, dem gewählten Botox-Produkt, seiner situativen Qualität (Aufmischungsart, Temperatur etc.), der injizierten Menge, vom "Spritzmuster" (wieviel, genau wo, nach standardisierter Erfahrung, gespritzt wird), der Injektionstiefe, dem Injektionsintervall sowie


der Erfahrung des spritzenden

Arztes bzw. der Ärztin


Manche Ärztinnen und Ärzte spritzen nach Fühlen und dann, im wahrsten Wortsinn, mit Gefühl. Andere nehmen sich ein Ultraschallgerät zu bildgebenden Hilfe. Einige wenige Spritzen unter Zuhilfenahme eines EMG-Gerätes, mit dem unter anderem der Spannungszustand eines Muskels elektrisch abgeleitet und auf diese Weise gemessen werden kann.

Botox versus Xeomin


Die Botolinumtoxintherapie hat sich unter anderem zur Behandlung fokaler und segmentaler Dystonien bewährt. Das Spritzen des vorgenannten Nervengiftes unterbricht für eine Weile die Übertragung von Nervenimpulsen zu Muskeln, die dann nicht zu zittern, zucken und/oder krampfen vermögen.


Im medizinischen Angebot sind mittlerweile unterschiedliche Präparate, unter anderem Botox und Xeomin. Betroffene stellen wiederholt die Frage, wo denn der Unterschied liegt.


Der Hauptunterschied liegt darin, dass Xeomin insofern ein reines Botolinumtoxin ist, als das es keine „Transporterproteine“ enthält. Gegen eben diese bauen Patient:innen regelmäßig bzw. zunehmend Antikörpern auf, weshalb Botox mitunter nach eine Weile nicht mehr so lgut bzw. lange wirkt, wie anfänglich, bis es - irgendwann - bei einigen garnicht mehr wirkt (…).


Ein weiterer Unterschied: Xeomin ist teurer. Auch deshalb injizieren manche Ärzt:innen, wohl gleichsam auf Geiheiß der Krankenkassen, eher Botox.

Botolinumtoxin-Injektionen

"Spritzmuster"


Der Begriff "Spritzmuster" ist doch irgendwie ulkig. Unbenommen des Themas "Botox", löst er bei mir unweigerlich ein vielfältiges Kopfkino aus. Von Spurensicherung bei der Polizei, über Tortendekoration, bis  Feuerwehr (...). Bei Dir auch?


Sei es drum. Mit Bezug zu intramuskulären Injektionstherapien, die das Spritzen von Medikamenten in Rahmen einer Therapiesitzung an mehreren zusammenhängenden Stellen erforderlich macht, steht der Begriff für ein Abbild/eine Auflistung jener Orte (Zielpunkte), in die erfahrungsgemäß, zum Entfalten der besten Wirkung, gewisse Mengen des Botolinumtoxins eingebracht werden müssen.


Grundsätzlich wird zwischen standardisierten und individuellen Spritzmustern unterschieden. So spritzen Ärztinnen und Ärzte bei Dystoniebetroffenen nicht einfach "nur so" oder "mal eben" los. Vielmehr greifen sie anfänglich grundsätzlich auch auf die Erfahrungen Dritter, im Sinne von "Best Practice" - national wie international - zurück und folgen einem daraus resultierenden "Spritzmuster", das nach und nach in den Folgetherapien, im Austausch zwischen Behandler*in und Patient*in, zu einem individuellen Spritzmuster fortentwickelt wird.

Dystonie und Botolinumtoxin

Ein wesentlicher Schlüssel zum Therapieerfolg


Ja, beim Botolinumtoxin handelt es sich eigentlich um ein höchst gefährliches Gift. Ja, es bedarf wiederholt des Spritzens. Und ja, Spritzen sind nicht eines bzw. einer Jeden Sache. Und ja, Botolinumtoxin-Präperate kosten mehr, als Tabletten, die zentral muskelentspannend wirken.


Die Vorteile einer Botolinumtoxin-Injektionstherapie gegenüber der der tagtäglich und mehrfachen Einnahme Tabletten liegen dennoch auf der Hand:


  • Im Mittel keine Wirkschwankungen
  • Keine Belastung des Magen- und Darmtraktes
  • Keine Belastung von Nieren und Leber
  • Auch ansonsten weniger Neben- und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten
  • Keine bekannten Langzeitschäden


Kurzum: Die Botolinumtoxin-Injektionstherapie ist, vor allem für mittelgradig Betroffene einer fokalen oder segmentalen Dystonie, nahezu alternativlos.


Dies haben nicht nur Ärztinnen und Ärzte sowie Dystoniebetroffene erkannt, auch die Arzneien zulassende Behörde und die Krankenkassen erlangen zunehmend diese Erkenntnis. So erweitern sich einerseits ihre behördlich genehmigten Einsatzbereiche nahezu jährlich. Andererseits werden die Kosten rundweg und anstandslos getragen.

Botoxtherapie und Wirkverluste

Schleichend versus spontan


Wiederholt berichten Dystoniebetroffene davon, dass sie anfänglich von der Therapie sehr gut bis gut profitieren, ihre Wirkung jedoch mitunter nachlässt oder in Gänze ausbleibt. Dabei kommen „schleichende Wirkverluste“ sowie „spontane Wirkverluste“ vor.


Wenn bei gleichbleibendem Botolinumtoxin (es gibt unterschiedliche), bei unveränderter Dosis und bei identischem Spritzmuster die Wirkung von Therapie zu Therapie nach und nach schwächer wird, also ein "schleichender Wirkverlust" eintritt, kann das zum einen daran liegen, dass sich die Dystonie verschlimmert, also fortschreitet, was wiederum einer Anpassung des Spritzmusters, der Dosis oder des Therapieintervalls bedarf.


Sollte sich die Wirkung nach Überprüfung der vorgenannten Rahmenbedingungen nicht wieder einstellen, gilt es labormedizinisch zu schauen, ob Betroffene Antikörper gegen das ihnen injizierte Botolinumtoxin entwickeln. In diesen Fällen besteht zunächst die Möglichkeit des Präparatwechsels. Gelegentlich wird ärztlicherseits eine Therapiepause empfohlen. Lediglich in Einzelfällen ist die Therapie gänzlich einzustellen.


Wenn bei gleichbleibendem Botolinumtoxin, bei unveränderter Dosis und bei identischem Spritzmuster die Wirkung von einem Mal auf das Andere in Gänze ausbleibt, also ein „spontaner Wirkverlust“ vorliegt, könnte dies daran liegen, dass die relevanten Muskeln nicht (oder nicht richtig) getroffen worden sind. Ferner kommt es in Einzelfällen vor, dass das Botolinumtoxin „verdorben“ ist, weil es entweder unsachgemäß gelagert, oder auf dem Transport – wo und durch wen auch immer – die Kühlkette unterbrochen worden ist. Bestimmtes Botolinumtoxin ist, bei all seiner Giftigkeit, da durchaus sensibel!

Botolinumtoxin und Neutralisierende Antikörper bzw. Sekundäres Therapieversagen



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