Baclofen gehört zur Gruppe der zentral wirksamen Muskelrelaxanzien. Es ist ein Wirkstoffe, der auf den Stoffwechsel im Rückenmark systemisch Einfluss auf den Muskeltonus - also die Grundspannung der Skelettmuskulatur - nimmt und diesen senkt. Das Arzneimittel wird zuvorderst zur Behandlung von Spastizitäten jedoch auch Dystonie angewandt.
Baclofen ist ein Derivat (Abkömmling) der Gamma-Aminobuttersäure (GABA). Als Agonist (Gegenspieler) wirkt er an den GABAB-Rezeptoren im Rückenmark zentral muskelentspannend. Baclofen verstärkt im Rückenmark die präsynaptische Hemmung, vor allem an den Renshaw-Zellen, wodurch es zu einer Dämpfung der Erregungsübertragung, also einer myotonolytischen Wirkung kommt (vgl. auch Gelbe Liste/Pharmaindex).
Da der Wirkstoff zentral wirkt, wirkt er auf alle Skelettmuskeln. Oral - als über dem Mund verabreicht bedarf es für eine gute Wirkung stets einer deutlich höheren Dosis, als intrathekal - also unmittelbar in die Rückenmarksflüssigkeit - eingegeben. Dies liegt darin begründet, dass der Wirkstoff lediglich in geringem Umfang die Blut-Hirn-Schranke überwindet und von dort sodann nur sehr langsam in die Rückenmarksflüssigkeit gelangt, wo er schließlich seine Wirkung zu entfalten vermag.
Sehr häufige (≥ 1/10) Nebenwirkungen sind Übelkeit, Schläfrigkeit und Benommenheit. Häufig (≥ 1/100 bis < 1/10) kommen u.a. Müdigkeit, Zittern, Gleichgewichtsstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Schlafstörungen, Ermüdung, Sehstörungen, abnehmende Herzleistung, niedriger Blutdruck, Erbrechen, Mundtrockenheit, Verstopfung, Schwitzen, Muskelschwäche, Muskelschmerzen und Blasenentleerungsstörungen vor. Die Nebenwirkungen nehmen zumeist nach Gewöhnung ein wenig ab, verschwinden jedoch nicht in Gänze.
In Deutschland wird Baclofen unter den Handelsnamen "Baclofen", "Lirosal" und "Lebic" verschreibungspflichtig vertrieben.
Menschen, die stark von Dystonie betroffenen sind - insbesondere deren Rumpf, Beine und Arme - profitieren mitunter weniger gut von Medikamenten, die über den Mund aufgenommen werden. Im Gegenteil. Die Nebenwirkungen sind häufiger stärker, als deren Wirkung ...
Die "Intrathekale Baclofenpumpe" (ITBP) könnte für einige Betroffene unter Umständen eine alternative Therapiemöglichkeit darstellen. Bei ITBP handelt es sich um eine kleine im Bauchraum implantierte batterie- oder gasdruckbetriebene Medikamentenpumpe. Sie gibt ein die Muskeln entspannendes Medikament, im Regelfall Baclofen, aus einem internen Pumpenspeicher, in flüssiger Form, über einen feinen Schlauch direkt in den Liquorraum, also die Rückenmarksflüssigkeit, ab. Das injizierte Medikament bzw. der Wirkstoff wird sozusagen unmittelbar dort freigesetzt, wo es mit der geringsten Menge die größte Wirkung zu erzielen vermag.
Die intrathekale Baclofentherapie hat - im Vergleich zu oralen Gabe des selben Medikaments - zum einen den
Vorteil,
dass es
niedriger dosiert werden kann, was
Nebenwirkungen reduziert. Zum anderen erfolgt ein
gleichbleibende Wirkstoffmenge konstant abgegeben wird, weshalb
Wirkschwankungen weitgehend entfallen.
Intrathekale Baclofenpumpen kommen zuvorderst zur Behandlung von
starken Spastiken sowie mittlerweile auch
schweren generalisierten, segmentalen oder fokalen Dystonien
zum Einsatz, dies vor allem dann, wenn zu deren Linderung die
orale Gabe zentral wirkender Medikamente zur Muskelentspannung nicht oder nur unzureichend Wirkung zeitigt
oder die Nebenwirkungen gravierend bis intolerabel sind.
Das Pumpensystem besteht aus drei Hauptkomponenten:
Die Pumpe selbst wird im Unterbauchraum unter der Haut eingesetzt und der Schlauch, über den das Baclofen in die Rückenmarksflüssigkeit geleitet wird, über die Flanke entlang der Wirbelsäule bis auf jene Höhe geführt, von wo aus der Katheter in den Liquoraum geführt wird; je nach Betroffenheit von der Dystonie weiter unten, mittig oder weiter oben.
Da Dystonie grundsätzlich unheilbar ist, kann eine Baclofen-Pumpe dystone Symptome zwar nicht heilen, jedoch - wenn passgenau implantiert sowie gut eingestellt - maßgeblich lindern. Dies gilt vor allem für starke dystone Krampfgeschehen, die dauerhaft, funktionsbeeinträchtigende sowie schmerzhafte Fehlstellungen und Fehlhaltungen bewirken, die über Kurz oder Lang zudem Kontrakturen zur Folge haben können.
Die unmittelbare Abgabe von Baclofen in das Nervenwasser des Rückenmarks vermag wesentlichen dazu beizutragen, das Dystoniebetroffene - je nach Ausprägung ihrer Bewegungsstörung - wieder besser stehen, gehen, sitzen und/oder liegen können. Auch die Funktion der Arme und Hände kann sich verbessern. Eine verbesserte Lebensqualität ist wahrscheinlich, vor allem auch deshalb, weil intrathekal verabreichtes Baclofen deutlich weniger Nebenwirkungen zeitig, als würde der Wirkstoff oral, also in Tablettenform verabreicht.
Ergänzende Hinweise: Bevor die eigentliche Implantation einer Baclofenpumpe erfolgt, wird die Wirksamkeit der intrathekalen Baclofengabe im Krankenhaus durch die Anlage eines vorläufigen Pumpensystems simuliert.
Die Implantation einer Baclofenpumpe dauert zwischen ein bis vier Stunden. Sie wird grundsätzlich unter Vollnarkose durchgeführt.
Zunächst wird der Katheter (biegsamer dünner Kunststoffschlauch) in den Liquorraum eingebracht, in dem er mit Hilfe einer festen Kanüle zwischen den Wirbelkörpern hindurch geschoben wird. Nach Entfernung der Kanüle, wird der Katheter außerhalb des Liquorraumes vernähend fixiert.
In einem nächsten Schritt wird die vorab mit Baclofen gefüllte Medikamentenpumpe zwischen Bauchmuskeln und Fettschicht unter der Haut eingebracht und mit einem Schlauch verbunden. Dieser wird sodann vermittels eines "Messerrohrs" um die Flanke herum entlang der Wirbelsäule zum Katheter hinaufgezogen und dort mit dem Selbigen verbunden.
In einem letzten Schritt werden sämtliche Hautschnitte verschlossen.
Die Baclofenpumpe vermag vier unterschiedliche Alarme abzusetzen. Vorrangig zu betrachten ist der Akutalarm für "akute" und sofort zu behebende Störungen. In diesen Fällen piept die Pumpe alle 10 Minuten. In diesen Fällen ist unverzüglich eine medizinische Einrichtung aufzusuchen, die sich mit hinreichend Baclofenpumpen auskennt. Kurzum: Ab ins Krankenhaus!
Hinzu kommt ein Nachfüllalarm, der alle drei Stunden ertönt und ankündigt, dass die Pumpe des zeitnahen Auffüllens mit Baclofen bedarf. Auch hier gilt: Ab zum Arzt, wenn nicht ohnehin bereits ein Nachfülltermin vereinbart worden ist.
Schließlich gibt es noch den Pumpenaustauschalarm, der dann einmal am Tag zu ertönen beginnt, wenn die die Lebensdauer der Pumpe nahezu erschöpft ist. Nach erstmaligen Ertönen dieses Alarms hält die Pumpe noch 90 Tage. Ein Doppel-Piepton-Alarm erfolgt unmittelbar davor, bevor sich die Pumpe endgültig abschaltet.
Je nach Größe der Pumpe (20ml oder 40ml Fassungsvermögen) und der Menge des täglich abgegebenen Baclofens muss diese regelmäßig - von außen durch eine Membran hindurch - aufgefüllte werden.
Das Auffüllen der Pumpe erfolgt beim behandelnden Arzt bzw. der Ärztin, da dies unter sterilen Umständen vorgenommen werden muss.
"Auffülltermine" können auf der Grundlage der täglichen Dosismenge vorausberechnet und zeitgerecht terminiert werden. Sollte dies einmal vergessen werden, sondert die Pumpe alle drei Stunden einen Auffüllalarm ab, wenn sich das Baclofen dem Ende neigt.
Eine Baclofenpumpe hält, nach Implantation, zwischen vier bis sieben Jahre. Ihre Funktionsdauer hängt im Wesentlichen davon ab, wie viel Medikament die Pumpe täglich abgibt. Je mehr, desto höher ihr Verschleiß. Davon unbenommen überprüft der behandelnde Arzt bzw. die Ärztin die Leistung der Pumpe bei jedem Auffülltermin, so dass rechtzeitig auffällt, wann die Pumpe ausgetauscht werden muss.
Steht der Wechsel der Baclofenpumpe an, wird ärztlicherseits gleichsam entschieden, ob auch Schlauch und Katheter eines Wechsels bedürfen. Beides ist nicht zwingend erforderlich. Sollte diese Bauteile weiterhin uneingeschränkt funktionstüchtig sein, bleibt sie liegen und werden lediglich mit der neuen Pumpe verbunden.
Keine Wirkung ohne die Gefahr von Neben- und Wechselwirkungen. Dies gilt auch für die intrathekale Baclofentherapie.
Gleich, ob Baclofen oral - durch den Mund - oder intrathekal - unmittelbar in das Nervenwasser - gegeben wird, so verursacht dieser Wirkstoff regelmäßig folgende Nebenwirkungen auf:
Kurzum, der Körper muss sich erst einmal an den muskelentspannenden Wirkstoff gewöhnen. Nehmen die Nebenwirkungen nach einigen Tagen nicht ab, sollte jedoch der behandelnde Arzt bzw. die Ärztin aufgesucht und die Dosierung zunächst nach unten angepasst werden.
Ein Pumpendefekt kann eine Über- oder Unterdosierung von intrathekalem Baclofen zur Folge haben.
Zeichen einer Überdosierung:
Zeichen einer Unterdosierung:
Gerätebedingte Komplikationen können aus folgenden Gegebenheiten resultieren:
Sehr selten kommt es infolge der intrathekalen Baclofentherapie zu einem Liquorunterdrucksyndrom. Hierbei verlieren die Betroffen Rückenmarksflüssigkeit im Bereich des Katheters. Sollten starken lageabhängige Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, vor allem im Sitzen und im Stehen auftreten, ist an diese Nebenwirkung zu denken. Eine Leckage lässt, so sie denn zeitgerecht auffällt, durch ein "Verkleben" mit Blutplättchen beheben.
Schließlich ist zu beachten, dass Personen, denen eine Baclofenpumpe implantiert wurde, gleichsam wie jene mit einer Tiefen Hirnstimulation, nur noch bedingt MRT-tauglich sind, will heißen, die Pumpe ist unter bestimmten Bedingungen zur Verwendung in 3-Tesla-MRT-Geräten zugelassen.
Für Kinder und Jugendliche, die schwer von Dystonie und/oder Spastik betroffen sind, stellt das Implantieren einer Baclofenpumpe bzw. die intrathekale Baclofengabe eine Therapiemöglichkeit dar. Dies vor allem dann, wenn die Gabe von Baclofen in Tablettenform in Verbindung mit Physiotherapie keine funktionelle Verbesserung erbringt, oder das Baclofen derart starke Nebenwirkungen zeitig, dass die Betroffenen zu benommen oder schläfrig sind, am Alltag teilzunehmen. Nicht zuletzt beschränkten diese Nebenwirkungen die geistige Entwicklung der Kinder. Wer fortwährend schläfrig und benommen ist, vermag seine bzw. ihre Umwelt nicht hinreichend wahrzunehmen und mit dieser zu interagieren.
In 2009 wurde im Kinderkrankenhaus Hamburg Altona eine Studie durchgeführt, bei der Nutzen und Risiken der intrathekalen Baclofentherapie bei Kindern mit schwerster Dystonie und/oder Spastik durchgeführt wurde. Bei 51 Kindern wurde über einen Spinalkatheter die intrathekale Gabe von Baclofen getestet. Bei 37 Patient:innen mit positivem Testergebnis erfolgte die Implantation einer Baclofenpumpe. Bei 30 von ihnen wurden die angestrebten Therapieziele nicht erreicht. Chirurgisch Komplikationen betrafen 6 der 37 Patient:innen und wurden überwiegend durch Funktionsstörungen des Pumpenkatheters verursacht.
Implantationbeschränkend sind Größe und Gewicht der Kinder, da die Pumpe (klein 20ml/groß 40ml Fassungsvermögen) Handtellergroß ist und als Widerlegen eine gewisse Fläche benötigt.
Erinnernde Hinweise
Bei Dystonie.Online handelt es sich um eine selbsthilfebasierte, weitgehend allgemeinsprachliche Beschreibung von Dystonie und jener Aspekte, die mit dieser Bewegungsstörung im Zusammenhang stehen bzw. stehen können. Demgemäß zielt diese Website nicht auf eine wissenschaftliche Allumfasstheit ab. Davon unbenommen bin ich für jedwede Anregungen und Ergänzungen dankbar!
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